Validierung von früherem Lernen: 2 Good Practice Beispiele

Vortrag am Bologna Tag

Vortrag am Bologna Tag

Beim Bologna Tag am 22.3.2018  durfte ich an der FH Burgenland einen kurzen Input zum Thema Validierung von informellem und non-formalem Lernen halten und habe dabei 2 europäische good practice Beispiele vorgestellt:

  1. Das WBIS-Studium an der University of Chester (UoC)
  2. Validation of Acquired Experience an der Université de Bretange Occidentale (UBO)

Dieser Blogpost gibt einen kurzen Überblick über die Inhalte der Präsentation, mit weiterführenden Links und Literaturtipps. Es ist ein relativ ausführlicher Blogpost geworden, da ich etwas genauer auf die Prozesse eingegangen bin.

Spannend war beim Bologna Tag auch der Vortrag von Patricia Staaf von der Uni Malmö – sie hat unter anderem betont, wie wichtig die Ausbildung von Universitätspersonal ist für die Validierungsprozesse. Am 22. November wollen wir an der Donau Uni Krems einen eintägigen Workshop zu Validierungsprozesse und Bedürfnisse von Geflüchteten für Hochschulpersonal an. Infos zu Anmeldung gibt es am Ende des Blogposts.

WBIS – Work-Based and Integrative Studies

An der Universität Chester (UK) wir seit 1998 das Work-Based and Integrative Studies Programm angeboten. Es ist berufsbegleitend, dauert 2-4 Jahre und wird alle 5 Jahre von der Quality Assurance Agency Groß Britanniens geprüft. So werden Qualitätsstandards sichergestellt.

University of Chester

University of Chester

Die Philosopie des WBIS-Studiums

Das WBIS Studium ist ein Programm, das speziell auf arbeitende Studierende ausgerichtet und damit höchst lernenden-zentriert ist. Es wird ein eigenes Curriculum für jede/n Studierende/n gestaltet und Validierung von früheren und aktuellen Erfahrungen, etwa am Arbeitsplatz, spielt dabei eine wichtige Rolle. Es gilt der Grundsatz: “Knowledge informs practice” und das formale Studium von Lernerfahrungen kann die (Arbeits)-Praxis weiterentwickeln und verbessern. Lernen wird darüber hinaus als kontextgebunden wertvoll angesehen, egal, wo es stattfindet. Das Studium ist damit stark kompetenzorientiert und die Formulierung von Lernergebnissen spielt eine wichtige Rolle bei der Validierung. Mehr dazu kann im VALERU Module Reader 1 ab Seite 24 oder im UK-Country Report zu Validierung ab Seite 6 gelesen werden.

Lernen in ECTS übersetzen

Im WBIS Studium wird früheres und aktuelles Lernen am Arbeitsplatz in ECTS Punkte auf einem gewissen NQR-Level übersetzt. Bis zu 2/3 des Studiums können durch die Validierung früheren Lernens (informell oder non-formal) zustande kommen, 1/3 kann durch die Validierung aktuellen Lernens im Arbeitsplatz und/oder traditionelle Lehrveranstaltungen an der Universität bestehen. Theoretisch könnte das gesamte Studium aus der Validierung von früherem und aktuellen Lernen, etwa am Arbeitsplatz (informell oder non-formal), bestehen – nur ein Modul zum Thema Forschungsmethoden/akademisches Schreiben muss im Rahmen einer “traditionellen” Lehrveranstaltung besucht werden. Wer nun denkt, dass die Studierenden nichts lernen, wenn sie sich “nur” früheres Lernen anerkennen lassen, der/die irrt sich gewaltig! Der Prozess, sich sein Lernen anerkennen zu lassen ist mühsam, hat viel mit der Bewusstwerdung einer Selbst und des eigenen Lernens zu tun. Es soll die Praxis mit der Theorie, Forschungsergebnissen verbunden werden.

Das (e)Portfolio als Methode für die Validierung

Es wird eine Art Portfolio erstellt, in dem Arbeitsproben und sonstige Lernartefakte gesammelt und arrangiert werden. Die Auswahl ist entscheidet. In einem “Reflective Review“, in dem beschrieben wird, wie die Theorie die Praxis ergänzt oder bereichern kann bzw. in welcher Art sich vielleicht die Theorie in der Praxis spiegelt. In einem 20 ECTS “Claim” für früheres Lernen kann hat ein Reflective Review durchaus ein stattliches Ausmaß von etwa 20 Seiten (5000 Wörter) haben.

Was passiert im Studium?

Ein (e)Portfolio zu erstellen und früheres Lernen reflektieren und an Theorie bzw. akademischer Literatur “zu reiben” will gelernt sein – das sind Kompetenzen, die man nicht auf einmal hat. Jede/r Studierende bekommt eine/n PAT – eine/n Personal Academic Tutor. Diese/r begleitet sie von Beginn an. Das erste Modul, das die Studierenden durchlaufen, ist ein diagnostisches Modul, in dem sie ihr früheres Lernen reflektieren, überlegen, was validiert werden könnte und vor allem, was sie durch das Studium erreichen wollen und welche Art Abschluss sie verfolgen. Darauf aufbauend, unter Coaching des PATs, wird ein Curriculum erstellt, das zum einen Module zur Validierung des früheren Lernens beinhaltet, aber auch Module für aktuelles Lernen am Arbeitsplatz oder “traditionelle” Lehrveranstaltungen.

Es wird eine Art Lernvertrag abgeschlossen, in dem all diese festgelegten Module verzeichnet sind, wie viel ECTS sie haben sollen und bis wann Unterlagen dazu erbracht werden sollen. Es gibt darüber hinaus auch ein Modul zu reflektierendem Lernen, zur Sensibilisierung der Studierenden auf die Philosophie des Studiums, um “knowledge informs practice” wirklich zu verinnerlichen. Während des Studiums arbeiten die Studierenden, unter Beratung ihres PAT, an ihren Portfolios und den Reflective Reviews. Der/die PAT gibt individuelles, formatives Feedback und nutzt Vygotskys Scaffolding Ansatz (Major, D, Talbot, J., 2014, S.24ff.)

Validation of Acquired Experiences an der UBO

Validation at UBO

Validierung an der UBO

In Frankreich gibt es seit 2002 ein Gesetz, das Validierung von Erfahrungslernen regelt. Aufgrund dieses Gesetzes sind Hochschulen verpflichtet, Validierungsprozesse anzubieten. Neben den Regelstudiengängen werden daher auch Validierungsprozesse angeboten. Akademische Qualifikationen werden nicht unterschieden in der Art wie sie erlangt wurden, ob es durch Validierung oder ein traditionelles Studium war. Das Diploma Supplement zeigt nicht an, wie der Titel erlangt wurde – was ein wichtiger Punkt ist. Die Qualifikation ist dieselbe – es darf keinen Unterschied machen, wie sie erworben wurde. Es ist auch eine wichtige Vorkehrung um einen 2-Klassen-Abschluss zu vermeiden.

Der Validierungsprozess an der UBO

Validierungsprozess an der UBO

Validierungsprozess an der UBO

Wichtig ist auch bei der UBO, dass während des ganzen Prozesses die ValidierungskandidatInnen von einem Counsellor betreut werden, der auch bei der Jury Sitzung dabei ist, jedoch nicht evaluiert. Es wird der (e)Portfolio-Ansatz verfolgt und die Jury evaluiert dieses Portfolio. Bei dem Interview werden offene Fragen behandelt, es handelt sich um keine Prüfung. Die Jury verleiht entweder einen ganzen Titel (wie etwa Bachelor oder Master) oder gibt Empfehlungen, was noch gelernt werden muss, um den gewünschten akademischen Grad zu erreichen. Die ValidierungskandidatInnen können selbst entscheiden, WIE sie lernen möchten um ihr Wissen/Können zu erweitern um den gewünschten akademischen Titel zu erwerben, etwa durch traditionelle Lehrveranstaltungen und Prüfungen oder durch selbst-gesteuertes Lernen oder MOOCs außerhalb des formalen Bildungssystems.

Ein Unterschied zu dem Chester-Ansatz ist, dass hier der Benchmark die Lernergebnisse des jeweiligen angestrebten Studienabschluss sind. Es wird kein individuelles Curriculum mit individuellen Lernergebnissen verhandelt.

Die Jury & das Interview

Die Jury besteht aus 5-8 Jurymitgliedern, mit einem Vorsitzenden, typischerweise etwa der Vizerektor und ForscherInnen/Vortragenden aus der jeweiligen Disziplin und 1-2 ExpertInnen aus der Wirtschaft. Die Interviews dauern nur 10-15 Minuten und stellen keinen Test da, sondern nur eine Art Versicherung, ob der Eindruck das Portfolios sich durch das Gespräch bestätigt. Wichtig ist, dass nicht die berufliche Position validiert wird, sondern die eigentlichen Tätigkeiten. So könnte etwa die berufliche Position “Assistenz von XYZ” lauten, aber die Person Tätigkeiten vollziehen, die über die Stellenbeschreibung hinaus gehen. Darauf ist bei dem Verfahren zu achten – also dass man nicht geblendet wird durch Positionen.

Vergleich zwischen Chester und UBO-Methode

Während in Chester ein individuelles Curriculum gestaltet wird und der Validierungsprozess sehr viele reflektierende, den Bildungsweg beeinflussende, Aspekte hat, ist der UBO-Ansatz eher summativ, mit formativen Elementen. In beiden Prozessen spielt die Beratung eine wichtige Rolle, es gibt eine Person, die die ValidierungskandidatInnen während des ganzen Validierungsprozesses begleitet und hilft, das Portfolio zu gestalten. Eine Gemeinsamkeit ist hier auch, dass an beiden Hochschulen der Portfolio-Ansatz genutzt wird. In beiden Fällen führen die Prozesse zum Empowerment der KandidatInnen, zu einem besseren Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen. Es werden vorher implizite Fähigkeiten explizit sichtbar gemacht. Ein Prozess, der viel Potential hat, um das Leben von Menschen auf positive Weise zu beeinflussen (VALERU Country Report France, 2015)

VINCE Seminar am 20.11.2018

Stempel, Save The Date, Rot, Erinnerung, Mitteilung

Am 20. November wird ein Seminar zum Thema Anerkennung von früheren Lernerfahrungen mit einem speziellen Fokus auf  den Zugang von Geflüchtete und MigrantInnen an Hochschulen stattfinden. Meine Kollegin Anne Kalaschek von der FH Burgenland und ich (Donau Uni Krems) laden alle Interessierten herzlich dazu ein, teilzunehmen. Es werden selbstverständlich keine Gebühren eingehoben, das Seminar findet im Rahmen des Erasmus+ Projekts VINCE statt. Sie können sich bei mir wegen Anmeldung zum Seminar melden: isabell.grundschober@donau-uni.ac.at

 

Die Folien des BolognaTag-Vortrags: Folien Bologna-Tag

Nationaler Qualifikationsrahmen

Der Nationale Qualifikationsrahmen ist für alle Arten von Validierung relevant, um Transparenz und Orientierung zu schaffen. Ich habe vor einiger Zeit einen Blogpost über den Österreichischen Qualifikationsrahmen geschrieben – dort gibt es mehr zu dem Thema!

 

Literatur

VINCE Country Reports

VALERU Country Reports. institutionelle Guidelines & Papers

WBIS an der UoC

VAE an der UBO

You may also like...

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *